Simons Autorenseite
gefährlich weit draußen

Kleine Expeditionen

Das Cover der Gedicht-Anthologie Poets of the New World Vol. 2 mit dem Thema Verlorenes Paradies zeigt ein Stier-Symbol, eine Spirale und in deren Mitte einen weißen Fleck. Hrsg. Philipp Spiering


Lyrik lebt. Ein Gedicht ist eine Entdeckungsreise zu einem kleinsten Ganzen – präzise, bildlich und rhythmisch. In der zweiten Anthologie des Lyrikwettbewerbs "Poets of the New World" spüren zeitgenössische Autor*innen einem verlorenen Paradies nach, mal melancholisch, mal hoffnungsvoll, häufig ambivalent. Link zum Herausgeber: Poets of the New World.

Mit dem Gedicht "Follow me home" durfte ich einen englischsprachigen Beitrag leisten, der eine Sehnsucht zum Ausdruck bringt. Eine Hommage an die Confessional Poetry von Sylvia Plath.

Das Cover der Anthologie Body Enhancements zeigt eine gestylte junge Frau, die mit der Hand eine virtuelle Schaltfläche im Raum bedient. Polarise Verlag

 

Welche Möglichkeiten und Gefahren stecken in der technologischen Erweiterung unseres Körpers? Mit dieser brisanten Frage befasst sich die Anthologie "Body Enhancements: Die Zukunft lesen in 13 Kurzgeschichten". Das Spektrum der Scifi-Themen reicht von optimierten Wahrnehmungen über kontrollierende Implantate bis hin zu ganzen Android-Körpern. Leseprobe: Body Enhancements (Dezimal).

In meiner dystopischen Kurzgeschichte "Dezimal" versucht ein junges Paar, einem tödlichen Algorithmus zu entfliehen. Ein nahezu unmögliches Unterfangen, denn der Mechanismus befindet sich im eigenen Körper.

Auf dem Cover des Onlinemagazins viaMag, Ausgabe März 2022, überkreuzen sich zwei Hände einer Person, die einen gelben Pullover trägt. Auch der Hintergrund ist gelb, der Schriftzug diesmal blau – ein klares Zeichen für den Frieden in schwierigen Zeiten. viaMag


Das Onlinemagazin viaMag befasst sich mit Sterben, Tod und Trauer. Es nähert sich diesen sensiblen Themen auf vielfältige und oft bunte Weise an. In der Märzausgabe 2022 ist die gelb-blaue Farbkombination zugleich ein Statement für den Frieden. Das Magazin besticht durch seine Offenheit: Es lässt verschiedenste Sichtweisen auf unsere Endlichkeit zu, steht allen Autor*innen für Gastbeiträge offen und ist kostenfrei verfügbar.

Ich habe die Chance genutzt und im viaMag die Kurzgeschichte "Soporia" veröffentlicht, eine Story über die Liebe und den Tod. Soporia ist ein geheimnisvoller Ort, ein aus Erinnerungen erschaffenes Zwischenreich. Mit dieser surrealen Geschichte teile ich meine Gedanken über das Sterben und den schmerzhaften Abschied.

Das Cover der Anthologie Die Zukunft der Männer zeigt ein Raumschiff, ein futuristisches Haus, einen Planeten und einen roten Nebel. VSS-Verlag


Beim Literaturwettbewerb "Männer schreiben Science-Fiction" des VSS-Verlags ging es um die Frage, welche Szenarien männliche Texter zur Zukunft der Menschheit entwerfen (zuvor hatte der Verlag schon den Wettbewerb "Frauen schreiben Science-Fiction" ins Leben gerufen). Link zur Anthologie auf Lovelybooks: Die Zukunft der Männer.

Was zählt noch, wenn alles verloren erscheint? Diese Frage muss sich der Protagonist in meiner Geschichte "Space Django" stellen, die beim Wettbewerb den ersten Platz erklommen hat. Von all meinen Figuren ist der Weltraum-Cowboy, der in einem Raumschiff seine letzten Worte spricht, am gefährlichsten weit draußen: zwei Lichtjahre von der Erde entfernt. Als einziger Überlebender einer gescheiterten Besiedlungsmission irrt er durch die Finsternis – und gibt dennoch nicht auf. Eine groteske Auseinandersetzung mit dem Sinn und Unsinn unserer Existenz.

Das Cover der Anthologie Fast menschlich zeigt eine aufwendig gestaltete Frau mit eindeutigem Roboter-Innenleben. Eridanus Verlag


Lässt sich Menschlichkeit programmieren? In der Anthologie "Fast menschlich" des Eridanus Verlags erzählen 25 Autor*innen Geschichten, in denen die Grenzen zwischen KI und Mensch verschwimmen. Link zum Verlag: Fast menschlich.

Mein Beitrag "Psychobot F20" ist ein absurder und düsterer Streifzug durch eine Anstalt für gestörte Roboter. Die Story hinterfragt den Traum mancher Unternehmer von einer optimierten Welt. Wo bleiben in dieser Welt noch Spannung und Entwicklung, das Ungewisse und das Neue? Dafür braucht es eine entscheidende Zutat: die Störung. Erst der Fehler – der "Bug im System" – stellt das Gewohnte auf den Prüfstand. Er treibt uns an und formt unsere Charaktere. Für den Optimierer in meiner Geschichte ist er zugleich die größte Gefahr.

Das Cover des Literaturmagazins neolith zeigt viele Pixel und das Thema der vierten Ausgabe: dis/play. neolith-Magazin


Als das Literaturmagazin neolith das Thema "dis/play" ausschrieb, waren der Fantasie keine Grenzen gesetzt: Kurzgeschichte, Gedicht, Foto oder Bild. Daraus ist am Ende ein origineller Mix geworden. Link zum Magazin: neolith.

Was mich zu einem Beitrag bewegte, war der disruptive Schrägstrich im Wort. Er forderte mich auf, mit "Display" zu spielen, nach Brechungen und Perspektivwechseln zu suchen. Daraus ist schließlich "Liebesspiel" entstanden, eine Story über einen romantischen Algorithmus. In der Geschichte stellt eine Frau drei Liebesbeweis-Aufgaben an ein Programm. Es könnte aber auch sein, dass alles ganz anders ist.

Das Cover der Anthologie Krimi-Kurzgeschichten 3 zeigt eine düstere Landschaft mit einem Täter im Schatten. Noel-Verlag


Krimis gibt es wie Sand am Meer. Darum malte ich mir nicht viele Chancen aus, als ich am Wettbewerb des Noel-Verlags teilnahm. Entsprechend überrascht war ich, als mein Beitrag unter Hunderten von Einsendungen den ersten Platz gewann. Link zum Verlag: Noel.

Das Verbrechen in der Geschichte "Salz" liegt lange zurück. Der verbitterte Ermittler Raik besucht nach Jahrzehnten seinen Heimatort an der Küste. Beiläufig entdeckt er in einer Vitrine die Relikte einer grausamen Tat. In unscheinbaren Salzspuren erkennt er die Vergangenheit. Nur er und die salzige See wissen, was damals geschehen ist. Doch soll er erneut das Leid heraufbeschwören?

Kann Physik Liebe sein? Ich sage: Ja! Der folgende Text ist eine quantenphysikalische Lovestory, die ich hier zum Lesen anbiete (auch erschienen im Magazin kkl).

Aron und Nora

Nora liebt Aron. Aron liebt Nora. Das ist das ganze Geheimnis.
Seit Nora von Aron erfahren hat, weiß sie, dass sie zusammengehören.
Doch es gibt ein Problem: Aron besteht aus Antimaterie.
Kommt Nora Aron zu nahe, vernichten sie sich gegenseitig.
Eine ironische Sache.

Nora hat schon überlegt: Wenn sie eine Membran findet,
die durch hochenergetische Abschirmung ihre Annihilation verhindert
und sich angenehm unscheinbar an ihre Körper schmiegt,
könnten sie einander nahe sein. Ein Traum wäre diese Membran.
Eine Art Behüterli.

Aron hat auch schon überlegt: Wenn er es schafft,
seine Positronen aus beta-plus-aktiven Radionukliden zu extrahieren,
könnte er einen Impfstoff für Noras Elektronen herstellen,
um sie an seine Antinatur zu gewöhnen.
Könnte funktionieren.

Allerdings hat sich bisher keiner von beiden getraut,
seine Idee in die Tat umzusetzen, nicht einmal, es zu probieren.
Ein einziger Fehler, eine nicht zu Ende gedachte Berechnung,
und sie zerstrahlen in einem elektromagnetischen Liebestodeslicht.
Könnte passieren.

Stattdessen begnügen sie sich in leiser Sehnsucht damit,
voneinander zu träumen und weiter ihre Biologien zu studieren,
um sich vielleicht doch irgendwann in die Arme zu fallen.
Denn eines ist klar: Sie gehören zusammen wie Tag und Nacht, Yin und Yang,
Minus und Plus.

Nora kann sich noch gut an das erste Mal erinnern,
als sie Aron für eine Nanosekunde an der Einstein-Rosen-Brücke sah.
Er schwirrte aus dem Nichts in Kreisen und trug blauen Schimmer.
Nora war wie gelähmt, aber eigentlich auch ganz schnell unterwegs.
Ihr Herz raste.

Was sie alles Irrwitziges über Aron gelesen hatte:
Angeblich kann man ihn und seine Artgenossen einfangen,
wenn man eine supraleitende Multipolfalle baut,
oder mit den Positronen einen Raumschiffantrieb befeuern.
Warp-Antrieb, cool!

„Lass dich bloß nicht mit einem Antimaterie-Typen ein!“,
hört Nora ihre Eltern sagen, als wäre es gestern gewesen.
Sie waren von ihrer Schwärmerei überrascht und sorgten sich.
„Die anderen finde ich aber abstoßend!“, widersprach Nora.
Nora wollte Aron.

Am Anfang war im Kosmos sowieso fast alles eins zu eins.
Materie und Antimaterie im Gleichgewicht, wie Nora gelernt hat.
Genauso fühlt es sich an: das Band zu Aron, ihrem Urknallschatz.
Warum kam nur dieses winzige Ungleichgewicht auf, das sie trennt?
Weiß keiner.

Nora ist wieder auf dem Weg zur Einstein-Rosen-Brücke.
Sie kann mit der Sehnsucht leben, will aber etwas ausprobieren.
Sie sieht Arons blauen Schimmer und spürt die Wärme seiner Bewegung.
Aron huscht vorbei, während Nora noch eine Planck-Zeit wartet.
Dann huscht sie hinterher.

Die Brücke hat den Vorteil, dass sie über die Zeit führt.
Nora saust an der Flusspromenade entlang und weiß, dass Aron neben ihr fliegt.
Hier sind sie beisammen, nur zeitlich ein bisschen versetzt.
Gerade so viel, dass Nora wieder Arons Wärme spürt.
Fast eins zu eins.

Auf die Idee hatte sie Werner Heisenberg gebracht:
Wenn sich Energie und Zeit nicht exakt zusammen messen lassen,
können sich Aron und Nora dazwischen endlich nahe sein. Genial!
Und wer weiß: Vielleicht verlieren sich am Ende ja alle Gegensätze
in der Unschärferelation der Liebe.

Frühes Highlight: An den Göttinger Poetryslam 2005 erinnere ich mich gerne zurück. Erwartungsfrei ging ich dorthin, jedoch mit ein paar Geschichten in der Tasche. Spontan entschied ich mich, die folgende Story zu lesen. Das Publikum dankte es mit dem größten Applaus, der Veranstalter mit einem Radioauftritt.

Ich wär' so gern eine Wasserturbinenleitschaufel

Ach, Norbert, ich wär' so gern eine Wasserturbinenleitschaufel.
Was bitte?
Eine Wasserturbinenleitschaufel.
Geht's dir nicht gut?
Doch, doch. Nur bin ich eben keine Wasserturbinenleitschaufel.
Warum willst du denn eine ... so ein Ding sein?
Das ist nicht einfach ein Ding! Bei Wasserturbinenleitschaufeln handelt es sich um wichtige Komponenten von Strömungskraftmaschinen, die sich am Fuße von Talsperren befinden.
Und weiter?
Als Leitschaufel einer Wasserturbine – auch Kaplanturbine genannt – bin ich verantwortlich für den geregelten Zulauf des Wassers in den Raum mit dem Läufer. Dieser Läufer besitzt verstellbare Schaufeln, über die ihn das strömende Wasser in eine Drehbewegung versetzt. So überträgt sich die kinetische Energie des Wassers auf den Generator, der sie in elektrische Energie umwandelt.
Du hast meine Frage noch nicht beantwortet.
Die lautete doch gleich?
Ich wollte wissen, wieso du ...
Ach ja, korrekt. Also, wenn ich eine Wasserturbinenleitschaufel wär', dann hätte ich den lieben langen Tag Wasser um mich herum. Ich bin nun mal eine absolut närrische Wasserratte. Goethe pflegte zu sagen: "Des Menschen Seele gleicht dem Wasser."
Hat er auch etwas über Wasserturbinen gesagt?
Nein, Norbert, hat er nicht! Aber er würde sicher genauso denken wie ich. Als Wasserturbinenleitschaufel kannst du nämlich auf ewig in der gleichmäßig sanften Strömung des Wassers tanzen. Immer nass und immer glücklich. Außerdem bist du ein fester Teil des Systems, der Turbine, mit einem festen Platz und einer klar festgelegten Aufgabe.
Du würdest das für immer machen wollen?
Für immer und ewig!
Aber du würdest dich abnutzen und müsstest irgendwann ausgewechselt werden.
Nicht, wenn ich aus einem extrem widerstandsfähigen Material bestehe. Stahl scheint mir geeignet.
Du bist dir schon der Tatsache bewusst, dass die Menschen die Flüsse derart verdrecken, dass alle erdenkbaren Säuren in ihnen herumschwirren, oder? Als einfaches Stahlerzeugnis wärst du wohl kaum vor der Säurekorrosion geschützt, die diese Brühe hervorruft.
Dann müssen mir eben Legierungsmetalle hinzugesetzt werden, zum Beispiel Chrom und Nickel. Dann bin ich eine unsterbliche Edelstahlwasserturbinenleitschaufel.
Unsterblich? Sicher? Würdest du nicht von menschlicher Hand gesteuert werden?
Wie denn sonst? Irgendwer muss schließlich meinen Drehmechanismus regulieren.
Ergo? Entschieden sich die Menschen, dich auszuschalten, würde es vorbei sein mit dem feuchten Tänzchen.
Mensch, Norbert! Dann wär' ich eben gern eine Edelstahlwasserturbinenleitschaufel mit selbststeuerndem Regelwerk!
Und wenn sich etwas in deinen Schaufeln verfinge, sodass du dich nicht mehr von allein drehen könntest?
Gut, dann wär' ich gern eine Edelstahlwasserturbinenleitschaufel mit selbststeuerndem Regelwerk und einem Greifarm, der im Falle einer Verstopfung den die Verstopfung verursachenden Gegenstand automatisch entfernt!
Willst du nicht doch mal zum Arzt gehen?
Du hast wirklich nichts Besseres zu tun, als meine Träume zu zerstören. Es war doch nur ein Gedanke!
Traum oder Gedanke?
Verträumter Gedanke!
Was hältst du von dem verträumten Gedanken, demnächst an das Meer zu fahren und als du selbst das prachtvolle Meerwasser zu genießen? Du kannst schwimmen, bis dir das Wasser aus den Ohren quillt. Dabei bist du ganz du selbst. Dein Ich ist der Herr des H2O.
Herr des H2O? Du bist ziemlich verrückt.
Ich will doch nur sagen: Finde zu dir selbst! Erkenne deine Rolle unter den Menschen und sichere dir den Platz im Leben, der dir am meisten zusagt – wie ein Fisch, der als kleiner Teil des großen Ganzen fest zu seinem Schwarm gehört und dennoch ungezwungen seine Individualität auslebt.
Ein Fisch, sagst du? ... Hmmm, ich könnte den ganzen Tag im Wasser schwimmen, flussaufwärts, flussabwärts ... Es gäbe nur ein Problem: Eine dieser teuflischen Talsperren könnte mir zum Verhängnis werden. Diese Wasserturbinen mit ihren Schaufeln sind die reinsten Todesfallen.

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